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Channel: Altruismus – Fazit – das Wirtschaftsblog
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Erben muss man sich verdienen

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In vielen Familien gilt ein heimlicher Generationenvertrag: Wer erbt, muss auch pflegen! Das hat erstaunliche Folgen.

Zu­min­dest in der Theo­rie ha­ben es Öko­no­men mit Kin­dern nicht leicht, weil sie nicht wis­sen, wie sie in ih­ren Mo­del­len mit ih­nen um­ge­hen sol­len. El­tern und auch Öko­no­men lie­ben ih­re Kin­der na­tür­lich und wür­den al­les für sie tun. In ei­nem öko­no­mi­schen Mo­dell aber reicht das nicht aus. Wenn es um Aus­ga­ben für das Kind geht, muss der Mo­dell­theo­re­ti­ker ent­schei­den, ob Kin­der ein „Kon­sum­gut“ oder ein „In­ves­ti­ti­ons­gut“ sind. Leis­ten sich El­tern ein Kind, weil es Ver­gnü­gen be­rei­tet, das Klei­ne auf­wach­sen zu se­hen? Oder ist die Ent­schei­dung für das Kind ein ra­tio­na­les Kal­kül, um si­cher­zu­stel­len, dass im Al­ter je­mand da ist, der sich um ei­nen küm­mert?

Die­se Fra­gen so zu stel­len, ist nur zum Teil ein schlech­ter Öko­no­men­witz, den sich Erst­se­mes­ter zu­rau­nen. Für Ehe­paa­re und für die Ge­sell­schaft sind die­se Fra­gen von gro­ßer Be­deu­tung. Di­rekt er­sicht­lich ist das in der Ana­ly­se, war­um den west­li­chen Wohl­fahrts­staa­ten die Kin­der aus­ge­hen. „Kin­der krie­gen die Leu­te so­wie­so“, soll der frü­he­re Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er ge­sagt ha­ben, als er En­de der fünf­zi­ger Jah­re des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts auf die Fol­gen der Dy­na­mi­sie­rung der Staats­ren­te für das Fort­pflan­zungs­ver­hal­ten an­ge­spro­chen wur­de. 

Da irrte Adenauer

Doch da irr­te Ade­nau­er. Wenn der Staat durch Ren­ten­ver­si­che­run­gen die Vor­sor­ge für das Al­ter über­nimmt, sind Kin­der als „In­ves­ti­ti­ons­gut“ nicht mehr ge­fragt. Das er­klärt zu­min­dest zum Teil den Rück­gang der Ge­bur­ten­ra­ten in den gut aus­ge­bau­ten Wohl­fahrts­staa­ten. Dass die Po­li­tik dann in der Fol­ge mehr und mehr Steu­er­geld in die Hand nimmt, um die Leu­te den­noch zum Kin­der­krie­gen zu ani­mie­ren, ist in der nüch­ter­nen Spra­che der Öko­no­men als staat­li­che In­ter­ven­ti­ons­spi­ra­le zu be­schrei­ben.

Der ja­pa­ni­sche Öko­nom Charles Ho­rio­ka hat sich zu­sam­men mit drei Ko-Au­to­ren den Mo­ti­ven für ein Kind vom an­de­ren En­de des Le­bens her ge­nä­hert, wie es ei­ner al­tern­den Ge­sell­schaft wie Ja­pan wohl an­ge­mes­sen ist. Ho­rio­ka un­ter­sucht, wie die Sicht der El­tern auf den Nach­wuchs das Ver­erben und das Ar­bei­ten be­ein­flusst. In der ver­ein­fa­chen­den Mo­dell­welt sor­tie­ren die El­tern sich da­bei in zwei Ka­te­go­ri­en. Die ei­nen lie­ben ihr Kind ein­fach so und wol­len ihm ei­ne mög­lichst gro­ße Erb­schaft hin­ter­las­sen. Das kann man wie Ho­rio­ka ein al­tru­is­ti­sches Erb­mo­tiv nen­nen. Die an­de­ren aber se­hen das Er­be als Teil ei­nes Kop­pel­ge­schäfts: Wer erbt, muss auch pfle­gen! Sie ver­bin­den die Erb­schaft in ei­nem fa­mi­liä­ren Ge­ne­ra­tio­nen­ver­trag mit der Er­war­tung, dass der Nach­wuchs sich im Ge­gen­zug in de­ren letz­ten Jah­ren um die El­tern küm­mert.

Vererben, um weniger zu arbeiten

Das hat Aus­wir­kun­gen auf das Ar­beits­le­ben der El­tern schon Jah­re vor dem Erb­schafts­fall. Al­tru­is­ti­sche El­tern ar­bei­ten län­ger als an­de­re und ge­hen spä­ter in Ren­te. Die an­de­ren El­tern ar­bei­ten, ge­mes­sen an der Zahl der Wo­chen­stun­den, in­ten­si­ver, ver­las­sen das Ar­beits­le­ben aber frü­her. Wie ist das zu er­klä­ren? Al­tru­is­ti­sche El­tern wol­len ih­ren Kin­dern mög­lichst viel ver­er­ben. Da­für sind sie be­reit, spä­ter in den Ru­he­stand zu ge­hen. Die El­tern, die von ih­ren Kin­dern auch Ver­sor­gungs- oder Pfle­ge­leis­tun­gen im Al­ter er­war­ten, be­rück­sich­ti­gen in ih­rer Ent­schei­dung über den Ein­tritt in den Ru­he­stand da­ge­gen zwei Fak­to­ren. Zum ei­nen müs­sen sie ih­ren Kin­dern als Leis­tung ein ge­nü­gend ho­hes Er­be hin­ter­las­sen. Zum an­de­ren aber sind sie dar­auf be­dacht, im Ge­gen­zug auch hin­rei­chend vie­le Jah­re von ih­ren Kin­dern ver­sorgt zu wer­den. Die­se An­reiz­struk­tur führt auf plau­si­ble Wei­se da­zu, dass die­se El­tern mehr Wo­chen­stun­den ar­bei­ten, aber frü­her das Ar­beits­le­ben ver­las­sen als al­tru­is­ti­sche Paa­re.

Sol­ches Theo­re­ti­sie­ren mag vie­len als Ab­son­der­lich­keit der öko­no­mi­schen Wis­sen­schaft da­her­kom­men. Das Reiz­vol­le an der Stu­die von Ho­rio­ka und Co. aber ist, dass die Au­to­ren ih­re Über­le­gun­gen am Bei­spiel der ja­pa­ni­schen Ge­sell­schaft un­ter­mau­ern. Ei­ne re­gel­mä­ßi­ge Um­fra­ge ei­ner For­schungs­grup­pe der Uni­ver­si­tät Osa­ka stell­te zu­letzt im Jahr 2012 auch die Fra­ge nach Mo­ti­ven für das Ver­er­ben. In der Ana­ly­se die­ser Um­fra­ge fin­den die For­scher ge­nau das Ver­hal­ten, das die Theo­rie vor­her­sagt. Al­tru­is­ti­sche El­tern ge­hen spä­ter in den Ru­he­stand. El­tern, die auf die Al­ters­ver­sor­gung durch ih­re Kin­der ver­trau­en, ar­bei­ten mehr Wo­chen­stun­den, be­en­den das Be­rufs­le­ben aber frü­her. Die­se Da­ten­ana­ly­se ist kein Be­weis, dass die theo­re­ti­schen Mo­dell­über­le­gun­gen die Wirk­lich­keit zu­tref­fend be­schrei­ben. Sie ist aber ein star­kes In­diz, dass man die Erb­schafts­mo­ti­ve von El­tern bei der Be­trach­tung des Ar­beits­mark­tes nicht au­ßen vor las­sen soll­te.

Die Erbschaftsteuer senken?

Das kann di­rek­te Fol­gen für die Wirt­schafts­po­li­tik ha­ben. Die Erb­schaft­steu­er wird von Öko­no­men wie je­de di­rek­te oder in­di­rek­te Steu­er auf das Ein­kom­men üb­li­cher­wei­se als Hemm­nis für Mehr­ar­beit ge­se­hen. Je hö­her die Steu­er, des­to ge­rin­ger die ei­ge­ne An­stren­gung, mehr zu er­wirt­schaf­ten. In der al­tern­den Ge­sell­schaft Ja­pans, in der zu­neh­mend die Ar­beits­kräf­te aus­ge­hen, ist das ein star­kes Mo­tiv, die Erb­schaft­steu­er – und auch an­de­re Steu­ern – zu sen­ken. Ei­ne nied­ri­ge­re Erb­schaft­steu­er bie­tet die Mög­lich­keit, den Kin­dern je ei­ge­ner Ar­beits­stun­de mehr zu hin­ter­las­sen. Das spornt El­tern zur Mehr­ar­beit und zu ei­nem spä­te­ren Ein­tritt in den Ru­he­stand an.

Ho­rio­ka und sei­ne Mit­strei­ter war­nen in­des, dass die­ses Ver­hal­ten nach ih­rer Ana­ly­se nicht mit Ge­wiss­heit vor­aus­ge­setzt wer­den kann. Wenn El­tern das Er­be als Ge­gen­leis­tung für Ver­sor­gungs­leis­tun­gen der Kin­der an­se­hen, kann ge­nau das Ge­gen­teil pas­sie­ren. Ei­ne Sen­kung der Erb­schaft­steu­er kann dann da­zu füh­ren, dass El­tern sich noch frü­her aus dem Ar­beits­le­ben ver­ab­schie­den. Der Net­to­ef­fekt ei­ner nied­ri­ge­ren Erb­schaft­steu­er kann so der In­ten­ti­on der Re­gie­rung zu­wi­der­lau­fen.

An die­ser Stel­le las­sen die Öko­no­men den Le­ser rat­los zu­rück, weil sie kei­ne kon­kre­ten Vor­schlä­ge un­ter­brei­ten, wie ei­ne Re­gie­rung auf die­se Un­si­cher­heit re­agie­ren soll. Zum Glück scheint zu­min­dest in Ja­pan das Pro­blem, das Ho­rio­ka und sei­ne Mit­au­to­ren auf­wer­fen, nicht weit ver­brei­tet zu sein. Ein Blick in die Tie­fen der Da­ten­ana­ly­se legt of­fen, dass in der Um­fra­ge 30 Pro­zent der El­tern sich ein al­tru­is­ti­sches Erb­schafts­mo­tiv zu­schrie­ben. Doch nur 3 Pro­zent er­klär­ten, sie wünsch­ten im Ge­gen­zug für ihr Er­be auch Pfle­ge­leis­tun­gen von ih­ren Kin­dern. Die­se Zahl könn­te zu nied­rig sein, weil El­tern sich scheu­en, die­ selbst­süch­ti­gen Er­war­tun­gen an ih­re Kin­der zu of­fen­ba­ren. Die sehr nied­ri­ge Zahl von 3 Pro­zent legt aber den­noch na­he, dass die ja­pa­ni­sche Re­gie­rung nicht lan­ge zö­gern soll­te, be­vor sie die Erb­schaft­steu­er senkt.

Charles Yu­ji Ho­rio­ka, Emin Gahra­ma­nov, Aziz Ha­yat, Xue­li Tang (2020): The Im­pact of Be­quest Mo­ti­ves on Re­ti­re­ment Be­ha­vi­or in Ja­pan: A Theo­re­ti­cal and Em­pi­ri­cal Ana­ly­sis. Na­tio­nal Bu­reau of Eco­no­mic Re­se­arch (NBER) Working Pa­per Nr. 26621.

Dieser „Sonntagsökonom” erschien am 2. Februar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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von Patrick Welter erschienen in Fazit - das Wirtschaftsblog ein Blog von FAZ.NET.


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